“Usable also in non-crisis situations” — Wie Teilnehmer des WirvsVirus Hackathons die Corona Krise definieren

brifrischu
13 min readJun 5, 2020
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“Wie können wir als Gesellschaft die Herausforderungen, die im Zuge der Corona Krise entstehen, mit neuen Lösungen gemeinsam meistern?” Diese Frage stellte der WirvsVirus Hackathon der Bundesregierung Ende März 2020. In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, wie diese Herausforderungen von den Teilnehmern verstanden wurden und welche Lösungen sie vorschlagen. Durch eine Analyse der Kurzbeschreibungen zeigen wir, dass die Teilnehmer die Krise nicht als globales, medizinisches Problem definieren, sondern stattdessen lokale und soziale Lösungen vorschlagen. Dadurch wird die Pandemie zu einem Problem, welches durch technologische Interventionen gelöst werden kann. Allerdings bedeutet das auch, dass sich die Projekte zu einem großen Teil nicht mit dem Problem selber, dem Virus, beschäftigen, sondern stattdessen die Auswirkungen navigieren. Dies bedeutet nicht, dass die Lösungen nicht sinnvoll oder nützlich sein können, aber es stellt die Frage inwieweit sich der Hackathon tatsächlich mit der aktuellen Pandemie befasst.

Hintergrund & Motivation

Vom 20.- 22. März rief die Bundesregierung den WirvsVirus Hackathon ins Leben und brachte damit viele Designer, Entwickler und Geldgeber zusammen, die sich den Aufgaben, die durch die Coronakrise entstanden sind, stellten. Auf der Website zum Hackathon wird klar, wie groß das Bedürfnis zu helfen und sich einzubringen ist — in 48 Stunden wurden knapp 1500 Projekte von 28.361 Teilnehmern angedacht und umgesetzt [9]. Es wurden 46 Themen gesetzt, denen sich die Teilnehmer widmen konnten (s.u.). Von diesen Projekten wurden mittlerweile 20 prämiert; aber damit ist die Arbeit noch nicht getan, wie Lisa Hegemann für Zeit Online schreibt [4]. Nun müssen nicht nur Produkte entwickelt, sondern die Lösungen auch unter die Leute gebracht werden. Während es sicher spannend ist, sich auf die 20 Sieger zu konzentrieren, haben wir jedoch einen Blick hinter die Kulissen geworfen und die eingereichten Projekte analysiert.

Hackathons sind mittlerweile eine weitverbreitete Methode im innovative Ideen zu generieren und voranzutreiben. Dennoch sind sie nicht ohne Kritik, wie z.B. D’Ignazio et al. [3] zusammenfassen. Wir wollen hier hervorheben, dass in Hackathons Probleme stark vereinfacht werden, damit sie in der Kürze der Zeit realisiert werden können. [2] geht noch weiter und betont, dass Hackathons keine Lösungen anbieten die direkt in der Krise helfen, sondern sich mit Fragestellungen befassen die am Rande des Problems liegen. Sasaki [8] diskutiert Hackathons unter Berücksichtigung von Morozov’s Konzept “Solutionism”, das nahelegt, dass in Hackathons Themenbereiche in Problemstellungen runtergebrochen werden, die durch technische Lösungen angegangen werden können, während andere, möglicherweise komplexere Lösungen, ignoriert werden. Dies bedeutet nicht, dass Hackathons nicht nützlich sein können (s. z.B. [1,7]) und das Konzept wurde seitdem neu interpretiert und adaptiert (z.B. [3,6]).

Unter diesen Gesichtspunkten haben wir analysiert, wie die Teilnehmer des WirvsVirus Hackathons die Situation konzeptualisieren und welche Lösungen sie vorschlagen. Unsere Ergebnisse geben erste Einblicke, wie Entwickler und weitere Interessierte im Rahmen eines Hackathons medizinische und gesellschaftliche Probleme konzeptualisieren. Diese Ergebnisse sind nicht nur relevant für Wissenschaftler die sich kritisch mit Hackathons auseinandersetzen, sondern deuten auch daraufhin wie wir als Gesellschaft die Pandemie charakterisieren und verstehen.

Fragen & Methode

Wir haben uns mit den Fragen befasst, welche Probleme Designer und Entwickler in der Krise konzeptualisieren und welche Arten von Lösungen sie vorschlagen. Dazu betrachteten wir alle Projekte, die am 27.03.2020 auf [10] veröffentlicht waren. Um die Datenmenge überschaubar zu halten, beschränkten wir uns auf Titel und Kurzbeschreibungen. Als wir die Daten herunterluden, kamen wir auf 1498 Einträge. Von diesen entfernten wir alle „test“ Einträge; alle Einträge, die „cancelled“ oder „zusammengelegt“ waren, sowie solche die neben dem Titel keine oder kaum weitere Informationen boten. 1400 Einträge, bzw. individuelle Projekte sahen wir genauer an. Wir verwendeten drei Schritte in der Analyse: 1) Wir zählten, wie viele Projekte sich mit welchem Thema auseinandersetzen, 2) wir schauten uns die Worte in der Kurzbeschreibung an, um einen ersten Eindruck zu gewinnen 3) und wir sahen uns die Kurzbeschreibungen inhaltlich an und fassten diese in Kategorien zusammen, um zu verstehen, wie die unterschiedlichen Projekte versuchen sich der Krise zu stellen. Andere Fragen, wie z.B. wer am Hackathon teilgenommen hat, wurden bei der Analyse zunächst ausgeklammert.

Ergebnisse

Gegen Corona, aber nicht unbedingt gegen das Virus

Als einer der ersten Punkte fiel uns auf, dass die Situation in der wir uns befinden als Krise, jedoch nicht unbedingt als medizinisches Problem verstanden wird. Wir betrachten hier die Häufigkeit von Worten in den Kurzbeschreibungen. Das häufigste Wort war „Corona“ (142) (dies sollte nicht überraschen). „Covid“ (65) war auch noch relativ häufig, aber schon deutlich abgeschlagen. Zusätzlich finden sich die Worte „Virus“ (40) und „Coronavirus“ (21) in den Beschreibungen. Die medizinisch korrekte Bezeichnung „Covid19“ (9) wird nur selten benutzt. Die Situation wird also eher umgangssprachlich als medizinisch korrekt benannt. Darüber hinaus wurden noch andere Begriffe herangezogen, z.B. „Pandemie“ (19), oder „pandemic“ (9). Häufiger findet sich allerdings die mehr allgemeine „Krise“ (60), oder „crisis“ (10). Dabei sollte betont werden, dass zwei der Themen als „Krisenkommunikation“ und „Krisenbewältigung“ beschrieben waren, der Begriff also bereits eingeführt wurde. Während der Euphemismus „Situation“ (7) selten verwendet wurde, fällt doch auf, dass manche Lösungen über die aktuelle Krise hinaus („usable also in non-crisis situations“) angedacht sind. Die Pandemie wird hier als nur eine mögliche Krise angesehen, was unter anderem erklärt, warum medizinische Lösungen nicht im Vordergrund standen, wie wir im nächsten Absatz zeigen.

Die Teilnehmer konnten ihre Lösung 46 Aufgabenbereichen zuordnen. Damit wurden viele Bereiche abgedeckt, wie aus Tabelle 1 hervorgeht. Dabei fällt auf, dass die Herausforderungen sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Manche bezeichnen die Nutzer oder Begünstigten der Lösung, z.B. lokale Unternehmen oder Kränkenhäuser. Andere wiederum beschreiben das Ziel der Aufgabe, z.B. Corona Tracking oder Lebensmittel Matching, während eine dritte Gruppe sich mit Strategien, z.B. e-learning oder gamification auseinandersetzt.

Die Tabelle zeigt die 46 Aufgabenstellungen in der Reihenfolge der meist-adressierten Fragen, d.h. ‘Lokale Unternehmen’ zog mit 101 die meisten Projekte an, während sich nur 4 Projekte mit der Aufgabenstellung ‘Rechtliche Fragen’ befassten.*

Dabei fällt auf, dass medizinische Problemstellungen, die sich z.B. Krankenhäusern, der Medizingeräteherstellung oder dem medizinischen Personal widmen, nur im Mittelfeld liegen. Den sozialen Veränderungen in der Gesellschaft, die durch Social Distancing entstehen, wie z.B. die wirtschaftliche Lage von Lokalen Unternehmen oder die Mental Health derer, die zu Hause bleiben, wurde deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Auch hier wird die Pandemie nur bedingt als medizinisches, sondern eher als ein gesellschaftliches Problem, bzw. eine gesellschaftliche Krise eingeschätzt.

In einem zweiten Schritt sahen wir uns an, mit welchen Strategien die Projekte das Virus bekämpfen wollen. Wir nahmen dazu eine thematische Analyse der Kurzbeschreibungen vor. Die Strategien unterteilten wir in einem zweiten Schritt in vier große Bereiche (mit einer fünften Kategorie an Projekten, die sich nicht einordnen ließen):

In der ersten Kategorie, Daten, geht es hauptsächlich um die Verteilung von Wissen, d.h. die Aufklärung von Bürgern als Motivation zu Hause zu bleiben und verschiedene Wege dies zu erreichen, z.B. durch die Sammlung von Daten auf Plattformen, der Vermeidung von Fake News oder der Aufbereitung von Daten durch Simulierungen oder Visualisierungen.

In der zweiten Kategorie, Güter, geht es hauptsächlich um die Verteilung von Gütern, d.h. die Frage, wie Waren dort ankommen wo sie gebraucht werden. Güter umfassen dabei sowohl Waren, d.h. Lebensmittel oder medizinische Produkte, als auch die Verteilung von Hilfskräften, z.B. über die Bereitstellung von Vermittlungsplattformen. Dies ist nicht immer kapitalistisch oder materiell, wie die Kategorie Gegenseitige Hilfe zeigt.

In der dritten Kategorie, Zuhause, geht es nicht um die intellektuelle Motivation durch Aufklärung zuhause zu bleiben, sondern um Maßnahmen, die diesen Prozess unterstützen und erleichtern. Dies beinhaltet spielerische Motivationen wie Challenges, auch auch Unterstützung, den Tag zu strukturieren, kreativ zu bleiben oder die Teilhabe am öffentlichen Leben bzw. sozialen Kontakten.

In der vierten Kategorie; Virus, geht es um Lösungen die sich direkter mit dem Virus befassen. Auch hier liegen die Lösungen eher auf der Seite der Daten, also der Frage wie sich Kontakte durch Informierung und Steuerung verhindern lassen, als auf der biologischen Seite, also Maßnahmen zur Behandlung oder Desinfektion.

Diese Klassifizierung unterstützt unsere vorherige These, dass die Lösungen nicht direkt das Virus, sondern deutlich stärker die sozialen Auswirkungen bekämpfen möchten. Im nächsten Absatz schauen wir etwas genauer auf die Mittel, die eingesetzt werden sollen, d.h. die vorgeschlagenen Technologien.

Mit allen Mitteln gegen das Virus: analog und digital

Wenn wir uns die Technologien ansehen, die genannt werden, fällt als erstes auf, dass die Zukunft „digital“ (119) ist. Dies umfasst sowohl deutsche als auch englische Begriffe und enthält auch Erweiterungen wie „digitalisiert“. Auch „online“ (69) wird sehr häufig verwendet, während „virtuell“ (42) weiter abgeschlagen ist. „Analoge“ (16) Technologien werden ebenfalls genannt, was daran liegen kann, das „Analoge Kommunikation“ einer der Aufgabenbereiche war. Wir möchten hier betonen, dass es deutlich mehr analoge, digitale etc. Technologien in dem Datensatz gibt. Diese Suche beschreibt nur, wie oft die Projekte das Wort in ihrer Kurzbeschreibung verwendet haben.

Ein Großteil der vorgeschlagenen Lösungen ist digital, besonders „Apps“, „Plattformen“ und „Datenbanken“, was wahrscheinlich wenig überrascht. Dabei sind nicht alle digitalen Projekte als Produkt geplant, sondern es gibt auch Vorschläge für „globale Kampagnen“ oder „virale Challenges“. Aber auch analoge Vorschläge spielen eine Rolle, besonders „Telefone“, „Briefe“ und „Flyer“. Dies ist teilweise durch die Kategorie „Analoge Kommunikation“ bedingt, in der es konkret um Lösungen dazu geht, wie Menschen ohne Internetzugang eingebunden werden können, es wird aber auch darüber hinaus als Methode zur Teilhabe und emotionalen Verbindung eingesetzt. Eine Klassifizierung in analog und digital über die Wortsuche hinaus ist schwieriger, da viele Lösungen unterschiedliche Ansätze kombinieren, wie z.B. „Online-Bestellung mit Abholung. Beratung per Chat. Waren im Schaufenster mit QR-Codes.“.

In den Kategorien Schutz, Desinfektion, Wirkstoffe und Behandlung finden sich weitere analoge Produkte, wie z.B. die DIY Produktion von Masken und Kitteln, „mobile Waschbecken“ oder die Behandlung von Objekten mit „Ozon“. Im Bereich Diagnose finden sich dagegen einige digitale Lösungen, wie der Versuch mit Smartphones Fieber zu erfassen oder mittels KI durch die Diagnose zu leiten. Obwohl der Hackathon ein weites Publikum angezogen hat, scheint doch der Großteil der Teilnehmer die Probleme der Coronakrise so definiert zu haben, dass sie durch technologische Lösungen und Interventionen gelöst werden können. Dies mag ein Grund sein, warum die medizinischen Bereiche nicht so häufig vertreten sind.

„Lokale“ Lösungen für „JEDERMANN“: Wer sind die Zielgruppen der Projekte?

Auf der Seite [10] ist der Großteil der Projekte als Neuentwicklung (1039) registriert, während eine Weiterentwicklung bestehender Lösung (197) oder kommerzielle Lösung (49) seltener gewählt wurde.** Trotz der hohen Zahlen an Neuentwicklungen fällt auf, dass die Sprache um die Lösungen eher zurückhaltend ist. In den 1400 analysierten Einträgen fällt das Wort „Lösung“ (25) und „Solution“ (12) selten. Dadurch inspiriert, analysierten wir weiter, welche Eigenschaften der Produkte in den Kurzbeschreibungen hervorgehoben wurden. Wir untersuchten daher tiefer, welche Eigenschaften die Projektmitarbeiter wichtig fanden zu erwähnen. Da viele Projekte ähnlich im Aufbau sind, z.B. Apps zum Tracken von Coronafällen, bieten diese Eingrenzungen Einblicke darin, was als Alleinstellungsmerkmal verstanden wird. Wir betrachten dabei nicht, wie viele Projekte diese Merkmale tatsächlich haben, sondern nur wie viele sich so darstellen.

Wir haben fünf große Kategorien bestimmt:

1. Projekte, die regional wirken wollen. Hier werden vor allem regionale und lokale Lösungen angeboten. “Global” wird mit 5 Nennungen deutlich seltener genannt als “regionale” (20) oder “lokale” (Lösungen). Die hohe letzte Zahl muss noch mal vorsichtig behandeln, da sich viele Projekte auch mit der Hilfe für Lokale, also Kneipen und Bars befassen — prost!

2. Projekte, die zeitlich wirken wollen. Das heißt, entweder werden Lösungen angeboten, die „schnell“ sind oder sogar Daten “in Echtzeit” anzeigen, regelmäßig oder häufig Daten updaten oder die „frühzeitig“ Handlungen erlauben. Schnelligkeit wird deutlich als anstrebsam definiert.

3. Projekte, die zugänglich sind. Hier werden vor allem „einfache“ oder „unkomplizierte“ Projekte betont, aber auch Eigenschaften wie „barrierefrei“ oder „universal access“ werden betont. Neben einfachen, stehen oft „spielerische“ oder „lehrreiche“ Produkte im Vordergrund. Einige Projekte werden zudem als „kostenlos“ oder „kostenfrei“ angeboten. Zugänglichkeit wird als komplex verstanden und bei vielen Projekten in den Vordergrund gerückt.

4. Projekte, die transparent sind und Anonymität wahren. Einige Projekte betonen, dass Daten oder software “open source” angeboten werden soll. Zusätzlich wird betont, dass Daten “anonym” erhoben und bearbeitet werden sollen. Dies wird nicht nur als Notwendigkeit verstanden, sondern auch weiter erläutert, z.B. mit Hinweis auf den Datenschutz. Projekte betonen, dass die Lösung “datenschutzkonform” oder “mit dem Datenschutz vereinbar” sein sollen. Auf der anderen Seite wird betont, dass Daten “transparent” sein sollen oder dass Nutzer “vollständige Kontrolle über Daten”erhalten soll. Der Wunsch nach anonymen Anwendungen geht daher über die Rechtslage hinaus, sondern wird als wichtiger Bestandteil für den Nutzer definiert.

5. Projekte, die qualitativ hochwertig sind. Manche, wenige Projekte werden als „bestmöglich“, „innovativ“ oder „effizienter“ bezeichnet. Diese Art der Eingrenzung ist jedoch seltener als die weiter oben genannten, d.h. mehr Projekte geben konkrete Beispiele wodurch sie sich auszeichnen und worin ihre Qualitäten bestehen.

Trotz der vielfachen Klassifizierung als Neuentwicklung, scheint es bei diesem Hackathon weniger um Innovation, als um die Verbesserung, Aufbereitung und Verbreitung von Produkten zu gehen. Der Zugang zu Informationen in vielerlei Hinsicht spielt eine große Rolle.

Nicht alle Projekte legen fest, wer die Zielgruppe oder Nutzergruppe sein soll. Bei denen, die sich festlegen, ist die Bandbreite so groß wie von den Themen zu erwarten. Wir gehen daher nicht generell auf die einzelnen Gruppen ein, sondern nehmen nur eine Klassifizierung nach Arten der Ansprache vor. Manche Beschreibungen sind sehr generell, wie z.B. „Nutzer“ oder „User“, wobei nicht weiter spezifiziert wird, für wen das Angebot interessant ist. Andere richten sich an „everyone“, „JEDERMANN“ oder „alle Bürger“,

Viele Projekte richten sich direkt an den Leser, z.B. „Klick für dein Team“ „DU als Individuum“ oder „Bleibe mit unserer App motiviert in Quarantäne“. Diese Anrede wird am häufigsten in den Bereichen Motivation oder Gamification verwendet.

Eine dritte Kategorie sticht heraus, da sie sich nicht an einzelne Personen(gruppen) richtet. Vernetzung spielt auch hier eine große Rolle und viele Projekte richten sich von vornherein an diverse Stakeholder. Dies ist häufig der Fall, wenn es um die Vermittlung von Arbeitskräften oder Gütern geht und z.B. „Helfer und Hilfesuchende“ oder „Landwirte und Zeitarbeitsfirmen“ vermittelt werden sollen. Dabei wir das Problem automatisch als solches verstanden, das nur wenn die Interessen unterschiedlicher Gruppen berücksichtigt werden, gelöst werden kann. Sowohl wenn wir die Nutzer, als auch wenn wir die Merkmale betrachten, fällt auf, das Lösungen in vielerlei Hinsicht die Komplexität der Situation unterstreichen, aufnehmen und darauf reagieren.

Zum Abschluss schauen wir noch einmal in die Daten, um zu verstehen, wen die Teilnehmenden des Hackathons als Risikogruppen sehen. Zwei Kategorien richten sich speziell an “Vulnerable Gruppen” und “Gefährdete Gruppen”, beides Kategorien der Veranstalter. In der ersten Gruppe wird die Zielgruppe hauptsächlich als „Obdachlose & Geflüchtete“ definiert. Im Fokus der zweiten Gruppe stehen Menschen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, aber es werden auch „Vorbelastete, Risikogruppen und in Quarantäne gestellte Menschen“ und einige andere genannt. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn wir den Bereich „Analoge Unterstützung“ ansehen. Analoge Unterstützung richtet sich an drei Zielgruppen: „Menschen gehobenen Alters“ bzw „Senioren“ und Menschen aus nicht weiter definierten „Risikogruppen“, sowie Menschen ohne Internetzugang. Das Klischee von Senioren die keinen Internetzugang haben, wird hier leider weiterverbreitet, obwohl der Hackathon in vielen anderen Bereichen sehr differenzierte Lösungen zeigt.

Fazit

Obwohl Stereotypen, wie z.B. das der Senioren die nicht mit Technik umgehen können, ihren Weg in die Vorschläge fanden, spiegeln doch viele Vorschläge die Komplexität der Situation wieder und beziehen eine breite Gruppe von Nutzergruppen in ihre Überlegungen ein. Probleme, die der Nutzung technischer Lösungen im Weg stehen könnten, wie z.B. fehlender Zugang zum Internet, Kosten oder fehlendes Vertrauen wurden in einigen Lösungen berücksichtigt. Dies ist nicht nur ein Zeichen für die Komplexität der Situation, sondern zeigt auch, dass sich die Komplexität auch in die Problemstellungen der einzelnen Projekte übertragen hat. Dies ist ein positiver Trend für Hackathons und ein Gewinn für die Lösungen in diesem Fall. Dennoch lohnt es sich, genauer über die Frage nachzudenken, wie die Problemstellungen generell eingegrenzt wurden. Dies ist besonders relevant, wenn man sich die Frage stellt inwieweit die Projektteilnehmer den Diskurs darüber worin die Krise besteht und wie man sie angehen kann nicht nur erkennen und einschätzen, sondern aktiv den Diskurs darüber prägen.

Der WirvsVirus Hackathon hat eine breite Palette an Lösungen zusammengebracht, die für viele Menschen die Krise leichter machen möchte. Dabei fällt auf, dass die Coronakrise nicht als medizinisches Problem, sondern als gesellschaftliche Krise umformuliert wird. Dadurch ergeben sich Probleme, die durch schnellen Zugriff auf Daten, Apps und Webplattformen lösbar werden. Diese Umformulierung bedeutet, dass die Probleme mit größtenteils bereits bestehenden Technologien gelöst werden können, aber auch, dass das Grundproblem nicht gelöst wird, sondern hauptsächlich die Auswirkungen navigiert werden. Dies hat zum einen den Vorteil, dass manche dieser Lösungen auch über diese spezielle Krise relevant sein können, stellt aber auch die Frage, in welchem Maße diese Lösungen das grundlegende Problem lösen können. Damit soll nicht angedeutet werden, dass die Lösungsvorschläge nicht wichtig oder sinnvoll wären, sondern es soll kritisch hinterfragen, in welchem Maß diese Lösungen aus der Krise bedeuten oder inwieweit sie helfen die Krise zu managen. Dadurch stellt sich die Frage inwieweit dieser Hackathon tatsächlich die Welt verändern kann (s. Irani [5]). Der Hackathon ist wichtig als Zeichen der Hoffnung in diesen schwierigen Zeiten, als Möglichkeit Kontakte zu knüpfen, Ideen zu generieren und Lösungen zu diskutieren. Dennoch werden die hier vorgeschlagenen Lösungen uns hauptsächlich helfen die Krise zu managen — ob wir sie meistern können, wie in der Zielsetzung des Hackathons am Anfang genannt, ist fragwürdig.

Klopapier wurde übrigens nicht gehortet, sondern nur 3 mal genannt.

*Um zu klassifizieren, welche Projekte sich welchem Thema widmen, haben wir uns in einem ersten Schritt an die Benamung des Projektes gerichtet. Viele Projekte haben sowohl die Nummer, als auch den Namen der Aufgabe im Titel, z.B. „0021_Kriesenkommunikation_Informationswebsite“. Wenn nur Nummer oder Aufgabe gegeben war, nutzten wir auch dies. Bei einem Vergleich mit der Website [10] fiel uns auf, dass manche Projekte dort anders klassifiziert sind, es kommt also zu einer Diskrepanz. Nur bei Titeln, bei denen die Aufgabe nicht erkenntlich war, haben wir die Klassifizierung übernommen wie sie von der Website gegeben wurde.

** Die Daten wurden vor der Bereinigung und der Ausschließung von Testseiten etc erhoben, es kann also zu leichten Abweichungen kommen. Es ist auch nicht klar woher die Diskrepanz in den Zahlen kommt und wie sich die Projekte verstanden haben die in dieser Aufzählung nicht auftauchen.

Bibliography

[1] Leandro de Almeida Melo, Fábio Freire da Silva Junior, Tiago Henrique da S. Leite, Fernando Figueira Filho, and Cleidson R. B. de Souza. 2018. Going Beyond The Challenge! Investigating The Aspects That Attract People to Participate in Hackathons. In Proceedings of the 17th Brazilian Symposium on Human Factors in Computing Systems (IHC 2018), Association for Computing Machinery, Belém, Brazil, 1–10. DOI:https://doi.org/10.1145/3274192.3274217

[2] cfd. Hackathons don’t solve problems — MIT Center for Civic Media. Retrieved April 27, 2020 from https://civic.mit.edu/2013/05/16/hackathons-dont-solve-problems/

[3] Catherine D’Ignazio, Alexis Hope, Alexandra Metral, Ethan Zuckerman, David Raymond, Willow Brugh, and Tal Achituv. Hacking the Hackathon With Breast Pumps and Babies.

[4] Lisa Hegemann. 2020. Hackathon: Die Corona-Hacks sind da. Die Zeit. Retrieved April 14, 2020 from https://www.zeit.de/digital/internet/2020-03/hackathon-wirvsvirus-bundesregierung-gewinnerprojekte-ideen-umsetzung/komplettansicht

[5] Lilly Irani. 2015. Hackathons and the making of entrepreneurial citizenship. Sci. Technol. Hum. Values 40, 5 (2015), 799–824.

[6] Emily Porter, Chris Bopp, Elizabeth Gerber, and Amy Voida. 2017. Reappropriating Hackathons: The Production Work of the CHI4Good Day of Service. In Proceedings of the 2017 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI ’17), Association for Computing Machinery, Denver, Colorado, USA, 810–814. DOI:https://doi.org/10.1145/3025453.3025637

[7] Nick Taylor and Loraine Clarke. 2018. Everybody’s Hacking: Participation and the Mainstreaming of Hackathons. In Proceedings of the 2018 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI ’18), Association for Computing Machinery, Montreal QC, Canada, 1–12. DOI:https://doi.org/10.1145/3173574.3173746

[8] 2012. On Hackathons and Solutionism. david sasaki. Retrieved April 27, 2020 from http://davidsasaki.name/2012/12/on-hackathons-and-solutionism/

[9] WirVsVirus — Der Hackathon der Bundesregierung — Corona / Covid-19. #WirVSVirus. Retrieved April 14, 2020 from https://wirvsvirushackathon.org/

[10] #WirVsVirus. #WirVsVirus. Retrieved April 14, 2020 from https://wirvsvirushackathon.devpost.com/

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